Es handelt sich um (unbezahlte) Werbung für Bücher, gelegentlich erhalte ich ein Rezensionsexemplar der Verlage. Ansonsten kaufe ich die Bücher in meinen Lieblingsbuchhandlungen. Die Verlinkungen zu den Infoseiten sind § 2 Nr. 5 TMG gekennzeichnet.
Jane
Gerhard (Hg.), Dan Tucker (Hg.)
Feminismus
Die
illustrierte Geschichte der weltweiten Frauenbewegung
Steinig und
noch lange nicht zu Ende ist die Geschichte der Emanzipation. Gleiches Recht
für alle? Noch lange nicht. Angefangen mit dem Recht zu
wählen, bis zum Recht auf Selbstbestimmung. Ein weiter Weg, den dieser Bildband
zeigt, mit klugen, erhellenden Texten und ergreifenden Bildern, die die ganze
Welt umspannen. Viele Zitate und Beiträge von Künstlerinnen bereichern die
Dokumentation, machen Lust die Einzelwerke zu erkunden und sich näher damit
zu beschäftigen. Welche Berufe übten Frauen über die Jahrhunderte aus und welche Einschränkungen erfuhren sie? Wie äußern sich Künstlerinnen, wenn es zum Beispiel um die chinesische Praxis des Füßezusammenbindens und die Genitalverstümmelung geht? Wie erkämpfte frau das Recht auf den eigenen Körper?
Die Texte und Fotos sind zugleich der Auftakt zu weiterführender Lektüre, die
im Anhang ausführlich erläutert wird. Ein wichtiges, großes Buch im doppelten Sinn zur richtigen
Zeit!
John Burnside
Über Liebe und Magie/ I
Put a Spell on you
Übersetzt von Bernhard Robben
Facetten der Liebe, Annäherungen,
Eroberungen, das Spiel mit Blicken, Geheimnisse, Geständnisse, ein Mord. Es
geht um einen Mann, dessen Alter sich erst im Laufe der Seiten herauskristallisiert,
um Frauen, die die er hatte und die, die er noch erobern will. Der Erzähler
steigt mitten ein, im Jahr 1958 in ein „rattenverseuchtes Mietshaus“ irgendwo
in Schottland. Wie auch beim Norweger Knausgard handelt es sich hier weder um einen
Roman noch um eine Autobiografie, das neue Genre heißt autofiktionale Memoir.
Aber anders als Knausgard, der den Leser mit einer klaren Handlung und einem
Thema in das Buch hineinzieht, schweift Burnside immer wieder ab, wirft viele
Figuren und Namen auf, das verlangt Konzentration und immer wieder fragt man
sich, auf was will er eigentlich hinaus. Auf die Liebe und ihre Spielarten, ja,
das ist die Metaebene und ja, es gibt schöne Sätze in dem Buch, die einen für
Sekunden an der Seite kleben lassen, sodass man sie nochmals liest. Sätze wie: …und
die Liebe fühlte sich seltsam an, so als erführe man die ersten Sätze einer
Geschichte, deren Ende man niemals lesen würde, da dieses Ende jemand anderem
gehörte. Und es geht um ein Lied und seine Coverversionen: I put a spell on
you. Aber wo ist die Geschichte? Vielleicht ist sie im Kontext mit Burnsides
anderen Büchern zu finden, vielleicht muss man Fan sein oder in der Stimmung.
Für mich war das Buch unzugänglich, darum muss das Ende des Buches jemand anderes an meiner Stelle lesen, ich habe trotz zweier Versuche leider abgebrochen.

Josef Haslinger
Mein Fall
Berührend und erschütternd. Josef Haslinger erzählt von den Missbräuchen (!) der katholischen Kirche an ihm als Internatsschüler und Sängerknabe. Erst als er sicher war, dass seine Misshandler tot sind, geht er damit an die Öffentlichkeit. Nicht nur sexuelle auch körperliche Gewalt verübten die Priester systematisch, sie benutzten die ihnen anvertrauten Zöglinge wie Frischware. Ein Buch, das mich immer noch beschäftigt, auch wenn man denkt, dass man alles über die Zustände in der katholischen Kirche weiß, ist das persönliche Schicksal und Schildern des bekannten Schriftstellers, der sein Trauma selbst schon mehrmals literarisch verarbeitet hat, sehr bewegend und damit unfassbar.
Buchinfo und Link zur Verlagsseite: S. Fischer Verlag, 144 S., Hardcover

Christoph Poschenrieder
Der unsichtbare Roman
Roman
Der Schriftsteller Gustav Meyrink ringt mit sich und der
Welt. In seiner Verschrobenheit
erinnert ein wenig an die Helden von Daniel Kehlmanns „Vermessung
der Welt“ und genauso gut ist das Buch, ich habe es sehr gerne gelesen. Diese
Eigenheit und diese Besonderheit im Erzählen. Nicht nur, weil dieser Meyrink
quasi bei mir um die Ecke gewohnt und gelebt hat. Es ist Poschenrieders
Erzählkunst, die es ausmacht. Verschachtelt, wendungsreich und witzig. Worum
geht es: Meyrink hat eine Sinnkrise, von seinen Büchern verkauft sich nur der „Golem“,
da erhält er einen Auftrag. Er soll einen Roman darüberschreiben, wer am Krieg
(dem 1. Weltkrieg) schuld ist. Hoho, er und ein Auftragsschreiber? Doch als er
eine Nacht darüber geschlafen hat, klärt sich die Angelegenheit wie so oft. Meyrink
fängt an zu recherchieren und befragt keine geringeren als die Protagonisten
der Münchner Räterepublik. Erich Mühsam & Co. Jeder hat andere, die er
verdächtigt. Ein Roman im Roman, der im wahrsten Sinne am Ende „unsichtbar“
ist. Eine Arbeit über die Arbeit eines Schriftstellers. Das ist aufs Beste sehr
unterhaltsam und in der Kürze einer Rezension, die nicht zu viel verraten will,
sehr empfehlenswert! Für alle Literaturliebhaber, die verblüfft werden wollen.
(Und wer will das nicht?)
Buchinfos und Link
zur Verlagsseite: Diogenes Verlag, Hardcover, 272 Seiten
David Wagner
Der vergessliche Riese
Mit erst 71 Jahre fängt der Vater des Ich-Erzählers (und
Sohnes) an zu vergessen. Anfangs führt die Vergesslichkeit zu grotesken
Situationen und Wortwitzen. Auch der Sohn vergisst manches, was der Vater noch
weiß. Von Monat zu Monat nimmt die Demenz zu. Der Vater baut ab. Das Buch beginnt nach der Beerdigung seiner
zweiten Frau. Der Vater glaubt er, es läge an ihm, dass ihm die Frauen
wegsterben. Bin ich so schwer auszuhalten? Mehrere Male im Laufe der Geschichte
wiederholt er das. Der Sohn, den er bis auf einige wenige Stellen durchwegs
„Freund“ nennt, beschwichtigt, nein, er sei eigentlich ein angenehmer
Zeitgenosse. Und es stimmt, dieser Vater, dieser vergessliche Riese, bleibt bis
zum Schluss pflegeleicht, wird nie ausfällig, hadert mit sich. Hat auch keine
sonstigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Und auch der Sohn, der ihn
regelmäßig besucht, scheint keine Probleme mit der Demenz und dem Verfall
seines Vaters zu haben, jedenfalls äußert er sie im Text nicht. Hauptsächlich
ist das Buch in Dialogform geschrieben, so als ob der Erzähler, die Begegnungen
mit dem Vater schriftlich festgehalten hat. Dabei erfährt man wenig über den
Sohn, alle Andeutungen verhallen in Fragen ohne Antworten. Der kranke Vater
steht im Mittelpunkt. Er und seine wechselnden polnischen Ganztagspflegerinnen,
bis er schließlich in eine Pflegevilla kommt. Der Sohn nimmt alles positiv auf,
er reflektiert das Erlebte nicht. Weder
auf des Vaters noch des Sohnes Seite gibt es eine seelische Veränderung. Sie nehmen
hin, wie es kommt, schlecht geht es keinem dabei. Die Familie ist gut situiert,
sodass auch keine finanziellen Sorgen zur Debatte stehen. Obwohl ich das Buch
gerne gelesen habe, lässt es mich ratlos zurück. Es fehlt mir die Tiefe, die
existenzielle oder dramatische Auseinandersetzung mit dieser Krankheit. Nichts
spitzt sich zu, alles plätschert dahin bis zum offenen Ende. David Wagners Bücher
haben mich bisher begeistert und verblüfft, nur dieses hat es mich als Leserin
und Betroffene leider enttäuscht.
Marc-Uwe Kling (Text)
Astrid Henn (Illustration)
Das Neinhorn
Bilderbuch
Wer denkt, dass ein Pferd, das ein Horn auf dem Kopf hat,
automatisch ein Einhorn sein muss, der wird nach dem Genuss dieses Bilderbuches
seinen Horizont erweitern. Wie es sich für fabelhafte Märchenwesen gehört,
beginnt die Geschichte in Reimen, sie reimen sich auch (fast) immer. Nur
manchmal wird ein Wort zugunsten der Endung falsch geschrieben, und für Kinder,
die schon lesen können korrekt ergänzt. Es gibt viel zu entdecken im Land der
Träume, in dem es kuschelig rosarot ist, die Blumen so groß wie Bäume, und die
Wolken (natürlich) aus Zuckerwatte sind. Nur ein Wesen fühlt sich nicht wohl in
dieser Wattewelt. Meistens sagt es nichts, und wenn doch, dann eben nur Nein.
Im Laufe der Geschichte entdeckt das Neinhorn, dass es auch noch andere Wesen
gibt, die sich Wörter einverleiben und zu ihrem Charakter machen. Es begegnet
nicht nur die KönigsDOCHter oder der NahUND, sondern viele anderen verblüffend
lustigen Figuren. Darum braucht es auch keine Moral am Ende, sondern das
wichtigste sind Freunde fürs Leben, und die dürfen ruhig anders sein, als man
selbst, sonst wäre es ja langweilig.
Die beiden Künstler drehen in ihrem neuen gemeinsamen Buch
wieder herrlich auf. Kindern und Eltern wird schon beim Aufblättern mit einer Landkarte
der Einstieg leicht gemacht. Die großartige Illustratorin Astrid Henn bildet
nicht nur ab, sie erzählt oft neue Geschichten, die erst beim
Vielemaleanschauen entdeckt werden. Sie bereichert Marc-Uwe Klings ohnehin witzigen
Text mit ihrer eigenen Fantasie.
Für die Leser und Betrachter gibt es noch eine Weiterspinnanleitung.
So sind der Jaaberguar oder die Warummel, auch die Schlaumeise und das
Reichhörnchen und viele andere in Aktion zu sehen. Der Schnarcheopteryx sagt
sogar auch noch was, obwohl er doch eigentlich ausgestorben sein müsste.
Ein reichhaltiges Bilderbuch nicht nur für Einhornfans und Kinder
in der Trotzphase.
Volker
Weidermann
Das Duell
Die
Geschichte von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki
Sie lesen sich
so spannend wie ein Roman, die Lebensgeschichten der beiden literarischen
Größen. Der eine, Günter Grass, als Literaturnobelpreisträger, der andere,
Marcel Reich-Ranicki, als Literaturkritiker mit markanter Stimme und herrischem
Tonfall, der Gründer des „literarischen Quartetts“, das in den 90er Jahren im
Fernsehen Kultstatus hatte. Der Autor dieses Buches, Volker Weidermann leitet nun
selbst seit ein paar Jahren das „Literarische Quartett“ im ZDF, bespricht mit
seinen Kollegen die Bücher anderer. Und er schreibt selbst, nicht nur
irgendwie, sondern sehr besonders, sodass ich mich schon immer auf jedes Buch von
ihm freue. Wie auch schon „Die Träumer“, um die Münchner Räterepublik, begeistert
mich auch „Das Duell“, in seiner kunstvollen Form und bilderreichen, sinnlichen
Schilderung. Günter Grass wird in den Sog des Nationalsozialismus
hineingerissen, und obwohl eigentlich noch zu jung, Mitglied in der SS. Wir begleiten
ihn von der Kindheit bis dahin, erfahren, dass er sich gegen Ende seines Lebens
wohl noch so sehr dafür schämt, und deswegen in seine Autobiografie nur von
sich in der dritten Person davon erzählen kann. Reich-Ranicki ist Jude,
entkommt mit seiner Frau nur knapp dem Warschauer Ghetto. Zuvor tippt er noch
als Schreibkraft das Todesurteil für alle Ghettobewohner. Wie wurden die beiden
wer sie sind, und wie kam es zu dem titelgebenden „Duell“. Sie hassten sich
zeitlebens und konnten doch nicht ohne einander. Volker Weidermanns Sprache
lässt den Leser tief eintauchen und mitfühlen, so erfährt man nicht nur viel
über diese beiden Männer und ihre literarische „Zwangsehe“, sondern auch über deutsche
Geschichte im Allgemeinen, und das auf sehr berührende Weise. Das ist große
Erzählkunst und eine literarische Perle!
Buchinfos und Link zur Verlagsseite: Kiepenheuer & Witsch Verlag, Hardcover, 320 Seiten
Jan Peter
Bremer
Der junge
Doktorand
Roman
Wann taucht er denn
endlich auf, der viel heißbegehrte junge Doktorand, den die Erzählerin Natascha
so sehnlichst erwartet. Viele Male hat er kurzfristig abgesagt, was sie scheinbar
nicht nur ihren Nachbarinnen, sondern auch vor sich selbst rechtfertigen muss.
Das führt zu grotesken Schilderungen und hat viel Sprachwitz. „Wie ein Vogel,
dessen Lebensfreude auf einen schönen Ruf hin plötzlich wieder erwacht, so war
sie einfach losgeflogen und hatte sich von der Monotonie und der steten
Langeweile in diesem Haus befreit.“ Das Haus ist eine alte Mühle, die sie mit
ihrem Mann, einem Maler, bewohnt. Von ihm hat sie sich nicht nur innerlich
entfernt, auch im ganz konkreten Sinne, „sodass sie regelrecht zusammenschrak,
wenn sie durch einen zufälligen Augenaufschlag zu ihm hin, bemerkte, dass er
noch immer vor ihr in seinem Sessel saß.“ Der Doktorand soll also frischen Wind
in diese fast verwehte Ehe bringen. Ob es ihm gelingt? Und wie ist er überhaupt,
der Heißersehnte? Alles kommt anders als erwartet, Geheimnisse lichten sich und
lange Verschwiegenes wird endlich ausgesprochen. Vergnüglich, kurzweilig und
poetisch. Jan Peter Bremer ist ein meisterhafter Beobachter der kleinsten Nuancen
im Beziehungsgeflecht. Mit dem „jungen Doktorand“ ist ihm ein Kabinettstück der
Situationskomik gelungen.
Peter
Wohlleben
Das
geheime Band zwischen Mensch und Natur
Erstaunliche Erkenntnisse über die 7 Sinne des Menschen, den Herzschlag der
Bäume und die Frage, ob Pflanzen ein Bewusstsein haben

Natur
auf Rezept. Der Mensch ist mittlerweile so weit weg vom Wald und dem Bezug zur
Natur, dass man, überspitzt geschrieben, sich bald einen Waldspaziergang auf
Rezept erhält, wenn chemische Medikamente nicht mehr helfen. Peter Wohlleben
schreibt im Vorwort zu seinem neuen Buch von der Renaissance des Naturerlebens.
Waldbaden & Co. Doch wie immer ist er kein Schwarzmaler, sondern sieht im
Klimawandel auch eine Chance, sich zurückzuerinnern und endlich das zu sehen
und zu erleben, was es noch gibt: Nämlich intakte Wälder und die Natur um uns
herum. Was mir besonders gefällt, ist der sinnliche Spaziergang mit Hilfe
dieses Buches. Wir hören, riechen, schmecken, tasten und sehen uns durch den
Wald. Es beginnt mit den Farben. Grün, logisch, als erstes, dann appelliert er an
unser Gehör, bzw. testet es und bringt Erstaunliches zu Tage. Es geht weiter in
unseren Körper und wieder zurück auf Tuchfühlung mit den Bäumen und der
Reiseaktivität der Regenwürmer. Und es gibt tatsächlich eine Waldapotheke, ein
Erste-Hilfe-Kasten aus der Natur, der hier vorgestellt wird. Aber auch die
Bäume brauchen manchmal Hilfe, und Peter Wohlleben sagt wie. Zum Schluss appelliert
er an eine Kehrtwende nicht des Verstandes, sondern mit dem Herzen, also unserem
Gefühl. Denn Bäume sind wie Wale und Elefanten zu großer Empathie fähig, und
das sind wir Menschen doch eigentlich auch.
Kai
Kupferschmidt
BLAU
Wie die Schönheit in die Welt kommt
Sachbuch (ganz in Blau)

Die
Hälfte der Menschen bezeichnen (laut einer Umfrage) Blau als ihre Lieblingsfarbe.
Zum Vergleich: Knapp 20 Prozent bevorzugen Grün, je acht Prozent Weiß oder Rot.
Blau in allen Schattierungen ist die häufigste getragene Modefarbe – und die
"Blue Jeans" das meistverkaufte Kleidungsstück. (Quelle: Geolino) So hat
der Autor mit diesem wunderschön gestalteten Buch also mindestens eine Hälfte
aller Leser gewonnen. Der Rest ist leicht zu überzeugen, denn dieses Buch ist
ein Magnet. Gefüllt mit Geschichte und Geschichten, Anekdoten rund um die Farbe
Blau, die Himmel und Meer widerspiegelt, gibt uns Kai Kupferschmidt ein Fundus
an Schönheit, zum Eintauchen und Abtauchen in die einst kostbarste Farbe von
allen. Schließlich und damit beginnt das Buch, leben wir auf dem blauen
Planeten. Blaupigmente, Experimente mit Blau, Blaulicht (Tatütata), Zitate mit
Blau, kulturelle und literarische Bezüge zu Blau (Auf der Suche nach der blauen
Blume) und vieles mehr. Strukturiert in wenige Kapitel mit schönen Fotos und
(natürlich) blauen Kapiteltrennern sehen wir, dank des Autors und der großartigen
Gestalter des Hoffmann und Campe Verlags nicht nur „ins Blaue“, sondern durch
den Blickwinkel einer Lieblingsfarbe lernen wir mehr über diese Welt, und was
sie im Innersten zusammenhält.
R.
R. Sul
Das
Erbe
Roman
Ein
Großvater hinterlässt seinem Enkel eine Blechkiste, darin zweihunderteinundzwanzig
Seiten seines Lebens und ein paar andere Dinge, die er für wichtig hielt.
Großvater Wolf fing Gesichter ein wie andere Tiere. Wir Leser sind bald die
Stellvertreter für Karlchen, eben jenen Enkel, an den sich das Buch richtet. Und
um Stellvertreter, also Geschichten in der Geschichte geht es auch in diesem
Roman eines Autors, der anonym bleiben will. Um das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom,
an dem die Mutter des Ich-Erzählers leidet. Das schlichtschwarze Buchcover mit
der kupferfarbenen Titelschrift, die ganze geheimnisvolle Aufmachung assoziieren
ein verstörende Familiendrama oder ein düsteres Geheimnis. Es beginnt in der
Tat verstörend. Als Kind schläft der Ich-Erzähler tagsüber und ist nachts wach,
weil seine Mutter glaubt, Tageslicht würde ihn krank machen. Wächst auf in der
Dunkelheit, zwischen Angst, Einsamkeit und Gewalt. Spielt manchmal allein auf einem
kinderleeren Spielplatz. Als er älter wird, soll ihn teure Sonnenschutzcreme und
ein Motorradhelm gegen die UV-Strahlung schützen. Die Fenster seines
Elternhauses sind mit einer speziellen Folie abgeklebt. Seine einzigen Freunde
sind zwei Spinnen in seinem Zimmer, die er erschlägt, als sie ihn ignorieren. Dies
alles berichtet er in stakkatohaft kurzen Sätzen, fast atemlos. Doch der Roman
endet nicht in der Kindheit, ist keine Flucht oder Aufbäumen, auch keine richtige
Auseinandersetzung. Der Erzähler nimmt die Ereignisse hin und hakt sie ab, das
Gute wie das Schlechte. Alles was geschieht, geschieht eben. Es gibt eben Liebe
und auch den Tod. Erst als es um seine eigenen Söhne geht, wird er
wachgerüttelt und hadert mit seinem Erbe, das Folgen für die nächste und
übernächste Generation hat. Am Ende lichtet sich „das Erbe“ und bietet
Wendungen, die man am Anfang nicht vermutet hat.
Ein
Roman mit Sogwirkung, der schnörkellos erzählt ist, aber lange nachwirkt.
Die Farbe des Goldes
historischer Roman
Ein mit
Blattgold verzierter Galgen wartet auf den Alchemisten. Wird er hängen, weil er
trotz vieler Versuche und Verschwendung von wertvollem Eisenerz geschafft hat,
Gold herzustellen? Gleich zu Beginn wirft die Autorin neugierig machende Fragen
auf und entführt den Leser in die Gegend um Stuttgart, im Jahr 1605. Vier charakterlich
sehr unterschiedliche Hauptfiguren treffen im Laufe des Romans aufeinander und verbinden
sich zu einer Geschichte. Die junge Elisabeth, die ihrem hartherzigen
Elternhaus entfliehen will, der arrogante Herrscher Georg, der den Namen seines
besten Freundes und Cousins benutzt, um unerkannt zu bleiben. Frédéric, der
sich als Bastard bei Hofe behaupten muss und trotz allem versucht das Richtige
zu tun. Und der Alchimist Johannes Keilholz, den es an den Württembergischen
Hof verschlägt, um Gold herzustellen. Gold spielt hier nicht nur als Edelmetall
eine Rolle, es steht auch als Sinnbild für das Wichtigste im Leben der Figuren.
Wendungsreich und spannend bis zur letzten Seite, zieht Deana Zinßmeister mit
ihrem neuesten historischen Roman wieder in den Bann. Das ist ein großes
Lesevergnügen!
Eduardo
Halfon
Duell
Roman
Der Erzählton
ist distanziert, kaum wörtliche Rede, alles scheint aus der Erinnerung heraus
aufgeschrieben und doch reist der Ich-Erzähler zugleich die Schauplätze seiner
Kindheit ab, um sich auf die Spurensuche eines ertrunkenen Kindes namens
Salomon zu machen. Seine polnisch-libanesische Familie ist vor allem jüdisch
und den Gräueltaten des Nationalsozialismus entkommen und redet bei diesem Kind
„Salomon“ ständig um den heißen Brei. Anders, als das Cover vermuten lässt,
spielt der etwas über hundert Seiten kurze Roman hauptsächlich in Guatemala, wo
auch der Ich-Erzähler aufwuchs. Vom Himmel fliegende Kühe, eine Heilerin, die
die Einheimischen „Einreiberin“ nennen und die in einem langen Teil von vielen,
vielen „Salomons“ erzählt, die alle ertrunken sind, lassen einen Hauch
magischen Realismus anklingen, den ich als deutsche Leserin mit Lateinamerika
verbinde. Alles in allem war mir die Geschichte zu nüchtern und zusammenfassend
erzählt, sodass ich nur wenige berührende Momente darin gefunden habe. Leider
entschwindet so nach dem Lesen sofort die Erinnerung an die Geschichte, aber
vielleicht lag das ja in der Absicht des Autors. Auch Roman sind flüchtig, versuchen
nur ein Duell zwischen Wahrheit und Erfindung.
Florian Valerius, Mareike Fallwicklillustriert von Franziska Misselwitz
Leseglück
99 Bücher, die gute Laune machen
"Wenn's mir schlecht geht, geh ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler", sagt Philip Dijan. Und wenn man das tut, erhält man vielleicht neuerdings Florian Valerius und Mareike Fallwickls gemeinsames "Leseglück"- Büchlein. Es macht wirklich gute Laune und passt sogar mit in den Erste-Hilfe-Kasten. Zitate, Leselisten, Hashtag-Tipps und vieles mehr. Toll illustriert von Franziska Misselwitz. Aber Vorsicht, hinterher braucht man ein neues Bücherregal!
Buchinfos und Link zur Verlagsseite:
Verlag Ars-Edition. Softcover, 144 Seiten
Doris Dörrie
Leben,
Schreiben, Atmen
Eine Einladung
zum Schreiben
„Schreiben Sie über Verlorenes. Wann ist etwas wirklich
verloren? Was hast du verloren und wiedergefunden? Was für immer verloren? Was
vermisst Du? …“ Sind damit verlorene Dinge oder eine verlorene Liebe gemeint?
Sowohl, als auch. Doris Dörrie erzählt von ihrer Mutter, die ihren Ehering verlor
und erst Jahrzehnte später wiederfand. Von einem verlorenen Milchzahn und
anderen Dingen, aber auch vom tragischen Verlust ihres Mannes. Obwohl ich
dachte, dass über das Schreiben schon alles gesagt wurde, freue ich mich über
dieses sehr schön gemachte neue Buch. Die bekannte Filmemacherin und
Autorin Doris Dörrie lehrt seit zwanzig Jahren kreatives Schreiben an der
Filmhochschule München. Und diese langjährige Erfahrung als Dozentin und Selbstschreibende
merkt man ihr an. Sie geht spielerisch an die Sache, regt vor allem zum Mit-der-Hand-schreiben
an. Dabei gibt sie Einblicke in ihr Leben und in ihrer Schreibbiografie und hat
am Ende jedes Kapitels einen Tipp, wie man selbst zu Stift und Notizbuch
greifen kann. Diese Mischung aus Autobiografie und Schreibratgeber macht großen Spaß zu Lesen,
aber vor allem große Lust aufs Schreiben.
Hardcover, Diogenes
Verlag, 288 Seiten
Wolfszeit
Deutschland und die
Deutschen, 1945 – 1955
Eine Seiltänzerin balanciert über einer zerbombten Stadt.
Das Foto auf der ersten Seite dieses Buches fasst die Epoche, um die es geht,
ohne Worte zusammen. Manche nannten die Zeit kurz nach Ende des Zweiten
Weltkriegs „Niemandszeit“, andere sprachen von der „Wolfszeit“. Denn jeder
kümmerte sich nur um sich selbst oder seine Familie, (sofern noch vorhanden),
wie Wölfe mit ihrem Rudel. Das mit dem Leipziger Buchpreis gekrönte Sachbuch
beleuchtet eine rel. unbekannte Zeit, die für uns Nachgeborene als Zeit des Wiederaufbaus
bis zum Wirtschaftswunder gilt. Über die Hälfte der Menschen in Deutschland
waren nach dem Krieg nicht dort, wo sie hingehörten oder hinwollten, darunter
neun Millionen Ausgebombte und Evakuierte, vierzehn Millionen Flüchtlinge und
Vertriebene, zehn Millionen entlassene Zwangsarbeiter und Häftlinge,
Abermillionen nach und nach zurückkehrende Kriegsgefangene. Was aus diesen
Menschen wurde, wie sie neu zusammenfanden, davon erzählt Harald Jähner
spannend und berührend. Warum sehnten sich viele nach genau dieser „Wolfszeit“
zurück? Was geschah in der „Stunde Null“, als der Krieg endlich vorbei war? Das
Kriegsende wurde verschoben, wie wir nun erfahren, weder die Stunde noch der
Tag standen genau fest. Erst im Rückblick einigte man sich auf ein Datum.
Während die einen also noch Panzersperren bauten und dem „Führer“ treu blieben,
hängten andere bereits weiße Fahnen heraus. Und als auch der letzte begriff,
dass das „Dritte Reich“ nicht mehr existierte, wie erging es dann den vielen
Heimatlosen? Wie fasste man wieder Fuß? Wie lebte man mit der Schuld? Aber auch
ganz praktisch gedacht: Wer räumte den Schutt der zerbombten Städte auf? Waren
das tatsächlich die Trümmerfrauen? Die Alliierten zwangen Nationalsozialisten
dazu, aber die allein schafften das nicht. Fachpersonal musste her. Nur in
Berlin waren es überwiegend die Frauen, da dort besonders viel Männermangel
herrschte. Woher kam die Lebensfreude, die wir spüren, wenn wir Filme und Musik
der 50er Jahre sehen und hören? Der Autor erzählt von Unbekannten und
Prominenten, Kulturschaffenden und Otto Normalverbrauchern. Vom beginnenden
Kalten Krieg und dem Design der Demokratie bis zum Klang der Verdrängung. Erhellt
wird das Ganze mit Ausschnitten aus Zeitzeugenberichte und zahlreichen Fotos.
Ein großartiges Buch zum Eintauchen und Verstehen der
Generation unserer Großeltern und Eltern, damit unsere Wurzeln bis zu uns
selbst.
Ferdinand von Schirach
Kaffee und Zigaretten
Sein
persönlichstes Buch heißt es laut Ankündigung des Verlags, also wurde ich
neugierig, was Herr von Schirach über sich preisgibt. Ich vermutete, dass er
stark raucht und viel Kaffee trinkt, wie der Titel sagt. Aber nichts
dergleichen. Vielleicht hat er bei diesen Stimulantien geschrieben. Ich kann
mich jedenfalls gar nicht erinnern, ob die Figuren oder der Ich-Erzähler raucht.
Zwischen den Erinnerungen stehen spannende Gerichtsfälle. Diese Mischung ergibt
sich, weil einige der Texte schon mal in Zeitschriften erschienen sind.
Die
Miniaturen sind wieder sehr originell und lesen sich in einem Rutsch weg, doch
das habe ich nicht gemacht, damit ich das Buch mehr genießen konnte.
Berührende, spannende, verblüffende Geschichten mit ein wenig Autobiografie des
Autors. Alles in allem, hat es wieder großen Spaß gemacht den neuen Schirach zu
lesen! Und kaum hat man zu Ende gelesen, möchte man sofort wieder vorne
anfangen, denn viele der Texte regen zum Nachdenken an.
Nicola Bardola
Elena Ferrante – meine geniale
Autorin
Die
Weltbestseller-Reihe und der Kult um die geheimnisvolle Autorin Elena Ferrante bringen
auch weitere Bücher rund um die Autorin hervor. Dieses sehr schön gemachte Buch
stammt vom besten Kenner ihres Gesamtwerkes: Nicola Bardola. Er schenkt uns
Leserinnen besondere Einblicke in all ihre Bücher und teilt mit uns seine
Gedanken zu ihrem Werk. Dabei widmet er sich ihrem Debüt und den drei folgenden
Romanen, dann einem Kinderbuch bis zu der berühmten Tetralogie, zeigt Themen
und Motive auf. Er geht sehr genau auf die Figurenzeichnung, die Erzählerstimme
und die Sprache ein. Das ist sehr detailverliebt, aber auch spannend-unterhaltsam.
Man merkt Bardola die große Begeisterung an, mit der er die Kenntnisse aller Ferrante-Fans
bereichert. Denn ihre Romane sind autobiografischer als vermutet. Illustriert
ist das Buch mit Fotos der Schauplätze und Hintergrundmaterial, z. B. die Covergestaltungen.
So macht Nicola Bardola Lust Ferrantes Gesamtwerk zu lesen.
Weitere
Infos zum Buch und dem Autor, samt Leseprobe, Reclam Verlag, 311 S., 59 Farbabb.,
Hardcover.